Orthopädische Probleme sind blöd und können uns Läufer ganz schön aus dem Training reißen. Zum Glück fordern sie nicht immer das Tribut, vollständig auf Ausdauersport zu verzichten. Vor allem Rennrad- bzw. Rollentraining kann eine effektive Alternative oder Ergänzung zum Lauftraining sein – und sogar richtig Spaß machen!
6 Wochen vor meinem ersten Saisonhöhepunkt 2019, einem 50km-Ultralauf, hat es mich leider erwischt: Schleimbeutelentzündung am Trochanter Major. Nach einer kurzen, akuten Phase konnte ich glücklicherweise recht bald schmerzfrei auf das Rennrad umsteigen. Bzw. auf die Rolle, denn bis auf ein paar frühlingshafte Ausreißer ist es noch Winter und mir Frostbeule eindeutig zu kalt, um auf der Straße zu radeln.
Da sich der Schleimbeutel leider langsamer erholt, als gehofft, habe ich den 50km-Lauf inzwischen abgeschrieben. Aber mein Ziel ist es, durch das Rollentraining meine Fitness so gut es geht zu erhalten, sodass ich nach der Heilung auf einem möglichst hohen Level wieder ins Lauftraining einsteigen kann. Schließlich ist der Rennsteig-Supermarathon nach wie vor eingeplant und das engagierte Wintertraining soll nicht ganz umsonst gewesen sein…
Rollentraining für Läufer: How-to
Da ich die Rolle zuvor eher sporadisch verwendet habe, musste ich mich erstmal in das Thema einarbeiten. Wie lässt sich das Lauftraining auf die Rolle übertragen? Wie bestimme ich meine Belastungszonen, welche Trainingseinheiten machen Sinn? Meine Erkenntnisse und ersten Erfahrungen habe ich hier für euch zusammengefasst.
Smarte Rollentrainer und Trainingssoftware
Wer sein Lauftraining ernsthaft auf die Rolle verlegen möchte (und sei es nur teilweise oder übergangsweise), legt sich am besten einen smarten Rollentrainer und eine Trainingssoftware zu. Dadurch kann das Training äußerst abwechslungsreich und effektiv gestaltet und die Trainingsmotivation hoch gehalten werden.
Eine gute Übersicht über smarte Rollentrainer und Trainingssoftware inklusive detaillierter Testberichte bietet zum Beispiel das Rennradmagazin „Tour“ in diesem Artikel über Training auf der Rolle.
Tipps zum Zubehör: Da der Reifenabrieb beim Rollentraining recht hoch ist, lohnt es sich, einen speziellen Hometrainer-Mantel aufzuziehen. Dieser ist außerdem leiser und hat einen besseren Grip auf der Rolle. Daneben ist eine geräusch- und vibrationsdämpfende Trainingsmatte zum Unterlegen ratsam. Manche schwören außerdem auf einen Ventilator zur Kühlung, da das Training recht schweißtreibend werden kann…
Messwerte für die Trainingssteuerung
Bei meinen ersten Einheiten auf der Rolle musste ich mich erstmal mit den wichtigsten Performance-Daten auf dem Bildschirm vertraut machen. Völlig naiv habe ich anfangs recht oft auf die Geschwindigkeit geschaut – und inzwischen gelernt, dass sie vor allem für uns Läufer völlig unwichtig ist. Denn den Beinen und dem Herz ist es egal, ob ich gerade 25, 35 oder 45 km/h fahre, solange die metabolische, kardiovaskuläre und muskuläre Belastung im angestrebten Bereich liegt.
Welche Werte schaue ich mir also zur Trainingssteuerung an?
- Watt: Der wichtigste Messwert beim Rollentraining. Er zeigt an, wie viel Leistung gerade im Moment erbracht wird – sei es im Flachen oder am Berg, bei kurzen, harten Intervallen oder langen Ausdauerfahrten. Smarte Rollentrainer haben eine integrierte Wattmessung, die (meiner Erfahrung nach) jedoch gewisse Ungenauigkeiten aufweist. Wer es genauer wissen will und ein paar Euro übrig hat, schafft sich einen Powermeter an, der die Leistung direkt an der Kurbel oder den Pedalen misst.
- Trittfrequenz: Wird in Umdrehungen pro Minute (U/m) gemessen. Die Frage nach der optimalen Trittfrequenz ist eine Wissenschaft für sich. Einigkeit herrscht darüber, dass eine höhere Trittfrequenz ökonomischer ist als eine niedrigere. Das Optimum ist jedoch bei jedem Sportler individuell und hängt außerdem von den Eigenschaften der Strecke ab. Ich orientiere mich im Flachen und bergab an etwa 80-100 U/m, bei fiesen Anstiegen versuche ich mich im Bereich 50-60 U/m zu bewegen.
- Herzfrequenz: Die Faustformel besagt, dass die Herzfrequenz in verschiedenen Belastungszonen auf dem Rad ca. 10-15 Schläge unter der beim Laufen liegt. Das stimmt in etwa mit meinen Erfahrungswerten und dem Ergebnis meines FTP-Tests überein. Ich ziehe die Herzfrequenz jedoch auf der Rolle eher unterstützend hinzu, da sie träger ist und mehr subjektiven Einflussgrößen unterliegt als die objektiv messbare Leistung. Wenn mein Wattmesser allerdings gerade spinnt oder ich aufgrund von muskulärer Ermüdung o.ä. bestimmte Wattwerte einfach nicht konstant halten kann, ziehe ich sie zur Belastungssteuerung hinzu.
FTP-Test
Woher weiß ich aber nun, welche Leistung ich in welcher Belastungszone erbringen muss? Der Schlüssel liegt in der Functional Threshold Power (FTP). Dieser Wert entspricht dem Schwellentempo beim Laufen (Functional Threshold Pace, ebenfalls FTP, welch Zufall!), das anhand von Testläufen oder einer Laktat-Leistungsdiagnostik bestimmt werden kann. Natürlich kann man auch auf dem Rennrad die FTP im Rahmen einer Leistungsdiagnostik feststellen lassen. Für die meisten Freizeitradler – und erst recht für uns Alternativsportler – genügt jedoch ein FTP-Test auf der Rolle.
Der am weitest verbreitete Ansatz (basierend auf Allen/Coggan) sieht vor, nach einem speziellen Aufwärmprogramm 20 Minuten lang die höchstmögliche Leistung zu erbringen, die über diesen Zeitraum weitestgehend konstant gehalten werden kann. 95% des durchschnittlichen Wattwertes sowie der durchschnittlichen Herzfrequenz dieser 20 Minuten ergeben schließlich den individuellen FTP-Wert und die dazugehörige Herzfrequenz.
Eine genaue Beschreibung zur Durchführung des FTP-Tests nach Allen/Coggan findet ihr auf der oben verlinkten Seite oder im Blogartikel FTP – Die funktionelle Leistungsschwelle von Pushing Limits.
Bestimmung der Trainingsbereiche
Liegt der FTP-Wert vor, ist es ein Leichtes, daraus die Trainingsbereiche nach Allen/Coggan zu berechnen:
Trainingszone | Leistung in % der FTP | HF in % der FTP-HF |
Aktive Regeneration | < 55% | < 68% |
Ausdauer | 56-75% | 69-83% |
Tempo | 76-90% | 84-94% |
Laktatschwelle | 91-105% | 95-105% |
VO2max | 106-120% | > 106% |
Anaerobe Kapzität | 121-150% | N/A* |
Maximalkraft | > 150% | N/A* |
*aufgrund der Trägheit der HF nicht definiert
Eine genaue Beschreibung der verschiedenen Trainingszonen und ihrer Anwendungsbereiche findet ihr im Artikel Power Training Zones for Cycling von Andrew Coggan. Mit dem Coggan Power Training Zones Calculator könnt ihr außerdem ganz einfach anhand eures FTP-Wertes eure persönlichen Zonen berechnen lassen.
Trainingsplanung/-einheiten
Die Trainingsplanung für das Rollentraining kann quasi analog zur läuferischen Trainingsplanung ablaufen. D.h. ganz grob: X Einheiten pro Woche mit genügend Regenerationszeit zwischen anstrengenden Einheiten, 80/20-Prinzip, 3-zu-1-Verhältnis von Belastungs- zu Entlastungswochen, usw.
Kommen wir zu den Trainingseinheiten an sich. Tempoeinheiten wie Intervalle, Tempowechseltraining oder Fahrtspiele lassen sich sehr gut fast 1-zu-1 auf die Rolle übertragen. Kilometervorgaben mit (ggf. aufgerundeten) Zeitvorgaben ersetzen, den Wattbereich anhand der angestrebten Zone bzw. der % vom Schwellenwert (% der „Lauf“-FTP = % der „Rad“-FTP) ermitteln – und schon kann’s losgehen.
Umwandlung von Lauf- in Rolleneinheiten – Beispiele:
Laufen | Rolle | |
Intervalle Zone 4 | 2 km Einlaufen 5 x 2000 m in 105% der FTP mit 4 min. Trabpause in 60% der FTP 2 km Auslaufen | 10-15 min. Einradeln 5 x 8:30 min. in 105% der FTP bei 80-90 U/m mit 4 min. Erholungspause in 60% der FTP bei 80-90 U/m 10-15 min. Ausradeln |
Tempowechseltraining Zone 2-3 | 2 km Einlaufen 8 x (1 km in 98%, 1 km in 88% der FTP) 1 km Auslaufen | 10-15 min Einradeln 8 x (5 min. in 98%, 5 min. in 88% der FTP bei 80-90 U/m) 10 min. Ausradeln |
Natürlich gibt es auch spezifische Tempoeinheiten aus dem Rennradsport, die anhand der angestrebten Trainingszone ausgewählt werden können.
Klassische Rolleneinheiten – Beispiele:
Intermittent Exercise Training (VO2max-Training): 15-20 min. Einradeln, 3 x 8 min. (30 sec. in 130-140%, 30 sec. in 50-60% des FTP bei 110-120 U/m) mit je 8 min. Serienpause in Zone 1 bei 80-90 U/m, 10-15 min. Ausradeln.
Over-Under-Intervalle: 10-15 min. Einradeln, 3-4 x 12 min. oder 2-3 x 20 min. (im Wechsel 2 min. 105-110% der FTP und 2 min. 95% der FTP) mit 6-10 min. Erholungspause in Zone 1, 10-15 min. Ausradeln.
Kraftausdauer- oder Bergtraining: 10-15 min. Einradeln, 3-5 x 5-10 min. in 85-95% der FTP in einem extrem hohen Gang oder am Berg bei 40-60 U/m, dazwischen 4-6 min. Erholungspause in Zone 1 bei 80-100 U/m, 10-15 min. Ausradeln.
Kommt es zu Ausdauereinheiten im GA1-Bereich, ist auf der Rolle einmal mehr als beim Laufen die „mentale“ Ausdauer gefragt. Denn um ein Lauf-Ausdauertraining äquivalent auf der Rolle umzusetzen, darf man gerne 50% der Laufzeit draufschlagen. Bei 1-Stunden-Läufen mag das in Ordnung sein; 1:30 Stunde vergeht auch auf der Rolle mit der richtigen Unterhaltung (Musik, Podcast, Fernsehen, …) wie im Fluge. Aber wenn es zu 3- oder 4-Stunden-Läufen kommt… tja, da braucht man schon eine seeehr spannende Serie oder einen echt starken Willen.
Persönliche Erkenntnisse aus dem Rollentraining
Jetzt trainiere ich tatsächlich schon seit 3 Wochen strukturiert auf der Rolle (das ist die „Das Glas ist halb voll“-Variante von „Jetzt bin ich doch tatsächlich schon seit 3 Wochen nicht mehr gelaufen.“). Allein in diesem Zeitraum habe ich viel dazugelernt über Arbeit, Leistung, Kurbelumdrehungen und Spotify-Playlists. Drei persönliche Erkenntnisse habe ich hier für euch zusammengefasst:
1) Burn, Oberschenkel, burn
Die muskuläre Belastung beim Rollentraining ist lokal viel konzentrierter als beim Laufen. Auch wenn natürlich weitere Muskeln wie die Waden- und Gesäßmuskeln ihren Beitrag leisten, muss der vordere Oberschenkel gefühlt die meiste Arbeit stemmen. Und zwar die ganze Zeit: Anders als beim Rennradtraining auf der Straße ist Nicht-Treten keine Option, selbst bergab.
Die Muskelkraft war für mich vor allem zu Beginn ein beschränkender Faktor in der Trainingsumsetzung. Nach den ersten Trainingseinheiten auf der Rolle konnte ich danach nur noch reglos auf der Couch liegen und brauchte immer einen Ruhetag zwischen den Einheiten.
Inzwischen ist es schon deutlich besser geworden (und die Oberschenkel einen Ticken dicker, scheint mir?). Aber vor allem bei längeren, harten Intervallen fällt es mir manchmal aus muskulären, nicht aus kardiovaskulären, Gründen schwer, die angestrebte Leistung bis zum Ende der Einheit zu erbringen.
2) Hunger – Die unendliche Geschichte
Kinder, was habe ich für einen Hunger, seit ich auf der Rolle trainiere! Da komme ich kaum hinterher mit dem Futtern.
Beim Laufen habe ich mir inzwischen eine so effiziente Energiebereitstellung erarbeitet, dass ich sehr lange oder sehr intensiv trainieren kann, ohne währenddessen Hunger zu bekommen. Und auch danach kann ich mich dem Thema Essen auf zivilisierte Art und Weise widmen.
Anders beim Rollentraining. Hier bekomme ich selbst bei kürzeren Einheiten manchmal einen Hungerast und wenn ich danach zum Plündern des Kühlschranks aufbreche, geht mir mein Freund lieber aus dem Weg. Und auch der Nachbrenneffekt scheint höher zu sein – manchmal habe ich selbst an Ruhetagen einen solchen Kohldampf, dass ich zusätzliche Mahlzeiten einschiebe.
(Das Gute: Die Energie wird tatsächlich umgesetzt, denn auf der Waage kommen meine Futter-Attacken zum Glück nicht an.)
3) Kein Ultratraining auf der Rolle
Relativ schnell wurde mir klar, dass ich mich mit dem Rollentraining zwar fit halten, jedoch nicht mein geplantes Ultratraining durchziehen kann.
Wie oben erwähnt, sind es vor allem die langen Läufe (> 3 Stunden), die auf der Rolle schwierig umzusetzen sind. Die äquivalente Dauer ist einfach zu lang, das bekomme ich mental und muskulär nicht auf die Reihe. Außerdem dienen gerade die langen Läufe ja auch noch der Stärkung von Sehnen und Bändern, schulen vor allem auf Trails die Koordination und Trittsicherheit, etc. Das lässt sich auf der Rolle schlichtweg nicht nachstellen.
Deshalb: Ultratraining erst wieder, wenn ich laufen kann. Solange Fitnesserhalt und Kraftaufbau!
Rollentraining statt Ultralaufen: You are not alone
Auch wenn sich mein Training momentan in eine andere Richtung entwickelt, als ursprünglich geplant, bin ich weiterhin im Austausch mit dem Ultraläufer und Coach Michael Arend. Er musste selber aufgrund von Problemen mit der Achillessehne in den Wintermonaten viel auf der Rolle trainieren und kennt sich somit nicht nur theoretisch mit dem Thema aus.
Hier ein paar Einblicke in sein persönliches Training und seine Einstellung zu Alternativtraining bei Verletzungen im Allgemeinen.
Wie sah eine typische Trainingswoche von dir aus, als du im Winter nur eingeschränkt laufen konntest?
Ich habe die langsamen und die langen Läufe durch Rollentraining ersetzt. Unter der Woche bin ich ein- bis zweimal etwa eine Stunde gefahren – meist locker, manchmal aus Frust aber viel zu schnell. Am Wochenende habe ich auch längere Rolleneinheiten von bis zu drei Stunden gemacht.
Etwa zweimal die Woche habe ich intensives Lauftraining auf dem Laufband gemacht, das waren meist so 3-Minuten-Intervalle bergauf. Zusätzlich bin ich ca. zweimal in der Woche Skitouren gegangen.
Was ist deine Lieblingseinheit auf der Rolle?
Am liebsten fahre ich lange und mit vielen Bergen auf der Rolle. Ich fahre gerne bei Zwift den Radio-Tower-Anstieg oder Alpe du Zwift – und zwar am liebsten auf Anschlag.
Was würdest du Läufern empfehlen, die zwar nicht ganz so lauf-invalide sind wie ich, aber aufgrund orthopädischer oder sonstiger Gründe einen Teil ihres Lauftrainings auf die Rolle verlegen wollen?
Prinzipiell kann fast alles mit der Rolle ersetzt werden. Aber es macht natürlich Sinn, lange Läufe und Intervalle – sofern es möglich ist – zu laufen. Regenerations- oder lockere Dauerläufe hingegen können problemlos mit Rolleneinheiten ersetzt werden.
Welche Aspekte des Lauftrainings lassen sich nicht mit Rollentraining abdecken? Gibt es hier andere Alternativen oder müssen Läufer dafür schlichtweg laufen?
Was halt gar nicht auf der Rolle simuliert werden kann, sind die Stoßbelastungen und die daraus resultierenden Anpassungen. Klar, mit Seilspringen oder Krafttraining kann man einiges abdecken – wenn das völlig problemlos geht, kann man aber normalerweise auch laufen.
Bei Verletzungen macht es deswegen aus meiner Sicht mehr Sinn, komplett auf das Laufen und alle Alternativen zu verzichten, die sich negativ auf die Verletzung auswirken könnten. Lieber warten, bis die Verletzung weg ist und dann wieder normal weiter trainieren. Sonst besteht die Gefahr, durch Alternativtraining den Heilungsprozess in die Länge zu ziehen oder sogar
die Verletzung zu verschlimmern.
Zur Beruhigung kann ich sagen, dass man als Läufer durchaus ein halbes Jahr auf der Rolle seines Fitness halten oder auch verbessern kann. Nach so einer langen Pause würde ich aber empfehlen, drei Monate wieder gelaufen zu sein, bevor das nächste ambitionierte Wettkampfziel ansteht.
Pingback:Vorbereitung auf den Rennsteiglauf Supermarathon
Hi Gregor,
freut mich, dass du Inspiration für dein Training aus dem Artikel ziehen konntest!
Ich kann Rennrad- bzw. Rollentraining wirklich sehr als Ergänzung oder temporäre Alternative zum Laufen empfehlen. Meiner Erfahrung nach ist es für uns Läufer die ideale Möglichkeit, trotz orthopädischer Beschwerden in Form zu bleiben oder den Trainingsumfang schonend und abwechslungsreich zu erhöhen. Viel Spaß und Erfolg beim Ausprobieren!
Sportliche Grüße,
Svenja